Page 11 - MA243
P. 11
11
an Felsen in der Umgebung erinnern soll. In diesem Stilgefühl erkennen zu lassen. Dekontruktionistische
Glas- und Eisengebirge, das neben den angrenzenden Gebilde, biomorphe Formen und variantenreiche weiße
Fabrikhallen erbaut wird, entsteht ein Kulturzentrum Kuben (white collar architecture) sind fortan Teile des
mit Räumen für Stadtteilmuseen, Ateliers, Werkstätten bunten architektonischen Baukastens, wenn es um die
und für andere künstlerische Aufgaben; ein moderner Sanierung oder den Neubau der Stadtviertel und ihrer
„Think Tank“ mit sozialer und ökologischer Ausrichtung. Museen geht. Alt steht neben neu, neu auf alt. Die
Ob der Ideenreichtum des Museumsbaumeisters damit verbundene Wertschätzung des Vergangenen
Gehry bisweilen nicht zu weit geht, zeigt sein Vorschlag dient indirekt auch der modernen Baukunst, die fast
am „Regent‘s Canal“ in London. Den viktorianischen immer erfolgreich aus dem Vergangenen schöpfte.
Gasbehälter will er entkernen, um sein hohes Skelett
als Parkskulptur oder neu eingerichteten Pavillon zu In der globalisierten Welt ist deswegen bald alles
nutzen. Über seine Funktion im alten Fabrikviertel ist nahezu überall möglich, ohne jedoch auf den spe-
man sich interessanterweise noch im Unklaren, d.h. zifischen Charakter des Ortes Rücksicht zu nehmen.
hier wird ohne drängenden Bedarf umgebaut. Zur Um dies zu erreichen, bedarf es weiterer Erfahrungen
Diskussion stehen ein Industriemuseum mit einem und vor allem Zeit. Bis dahin fährt das uniforme Mu-
Theater oder ein multifunktionaler Spielplatz. seumsauto auf allseits bekannten Wegen fast überall
hin und nimmt Viele und Vieles mit, weil sich die Welt
Da viele Eigentümer immer noch ihre Denkmäler immer mehr in ein großes Dorf verwandelt, das die
trotz gelungener Vorbilder für Zwecktransformation Menschen zu kennen glauben. Daß dieses Dorf unter
abreißen, werden Zeitzeugen der früheren industriellen dem bedenklichen und autoritären Diktat des Vergleichs
Revolutionen immer seltener (die erhaltenen lebt und seine Authentizität allmählich verliert, ist nur
gebliebenen sind nicht immer die bedeutsamsten). wenigen bewußt. Diese mit dem Internet möglichen
Umso stärker muß der Innovationswille von Architekten Vergleiche führen ferner dazu, Vieles immer ähnlicher
und Stadtplanern sein, Industriedenkmale zu retten. zu machen oder äußerlich verwandt erscheinen zu
Allerorten aufkeimende Crossover-Ideen sind eine lassen. Die international gebräuchlichen Stile der Mu-
sinnvolle Lösung für die Konversion dieser sonst seen sind demnach als neuer globaler Historismus zu
kaum verwendbaren Bauten. Auch Museen und betrachten, der dem vergangenen „Welt-Historismus“
andere kulturelle Institutionen sollten essentieller im 19. Jh. gleicht, dessen Vorbilder viele Architekten
und integraler Teil dieser Ideen sein, da es hier um schon damals in den bekannten Musterbüchern,
die notwendige humane Neuordnung ganzer Stadtteile Messen und frühen Fotografien fanden.
geht. Neben den bereits vollendeten Umwandlungen
industrieller Zonen, wie der Prada- und Armani-Stif- Ein Museum Calatravas könnte sich, unabhängig von
tungen in Mailand, entwickeln renommierte Architekten den Nachbargebäuden, vermutlich überall breit ma-
und Landschaftsplaner in New York und in London ein- chen, ohne Rücksicht auf den Ort oder die Region zu
zigartige Ideen, verfallende Quartiere zu überplanen. nehmen. Die verschieden kombinierbaren Varianten
Auch die Architekten von Coop Himmelblau aus Wien moderner Museen, ob Dekontruktionismus oder der
lieferten Beispiele, alte Industriegebäude zu beleben. radikalere Stil Peter Eisenmans, wirken dadurch
Paradebeispiel ist der 1896 erbaute Gasometer in beliebig und austauschbarer als traditionelle Gebäude.
Wien, bei dem noch andere Architekten, wie Jean Dahinter steckt seine provozierende Aussage, daß er
Nouvel, mitwirkten. Leider wurden hier im Auftrag der seine Werke eigentlich als „Kartongebäude“ (Wegwerf-
Bauherren zuviele Nutzungen zusammengewürfelt. gebäude) versteht und er sie eigentlich besser nicht
Besser wäre es gewesen, in einem der vier Gasbehälter bauen sollte. Dadurch, daß er nicht nur seine Entwürfe,
wenigstens ein großes Museum mit einem Kon- sondern auch vorhandene Städte als Wegwerfkartons
zertbereich einzurichten und das Umfeld weitgehend definiert, bereitet er den Weg für eine „Mentalität der
leer zu lassen, um größere Parks zu ermöglichen. Abrißbirne“ und der Endlichkeit von baulichen Lösun-
Im Gasometer wäre Raum für eine vielbenötigte De- gen. Eisenmans Vergangenheit und sein Berliner Mo-
pendence des Wiener Technikmuseums gewesen, oder nument sind Hinweise auf diese ungewohnt ehrliche
für einen Sonderausstellungsraum für all die vielen Philosophie. Mit ihr gibt der bekannte Architek-
Wiener Spezialmuseen ‒ vom Fiakermuseum bis hin turtheoretiker ein Hilfsmittel, um Museen und deren
zum Dritten-Mann-Museum: ein buntes und lebendiges Inhalt anders, vielleicht auch besser zu verstehen:
„Nette Leit”-Museum, daẞ das alte Denkmal mit „Memento mori“ und „Vanitas“ contra modernen und
Wechselausstellungen aller Wiener Stadtviertel skurril sinnentleerten Ewigkeitsanspruch.
belebt hätte.
„Zukunftswirklicher“ erscheint demgegenüber der
Der heimatlose architektonische traditionelle, heute leider durch Computerprogramme
Baukasten stark vereinfachte Bauhausstil, dem die Eleganz des
eigentlichen Bauhauses fehlt („squareboy architec-
ture“). Doch Koryphäen wie Richard Meier wahren das
Bei zahlreichen Museumsbauten sind seit geraumer
Zeit Einflüsse der Automobil- und Flugzeugindustrie Harmoniegefühl des Bauhauses und Le Corbusiers.
erkennbar. Vielfältige Formen und modernste Die ruhige weiße Farbgestaltung nimmt Bezug zu
Materialien bilden dabei die Variablen der sich nahezu dem klar umschriebenen Baukörper. Meier betont
an jede Mode anpassenden „Karosserien“ bzw. der die ausgewogene Singularität seiner Museumsbauten
Hüllen der Sammlungen. Sie ergänzen oder ersetzen in den unruhig wirkenden Stadtbildern, die viel mehr
teilweise ältere Bautraditionen, ohne schon ein sicheres einen Gegenpol darstellen als die opportunistischen
Versuche der sog. Avantgarde-Architektur. Deren
MUSEUM AKTUELL 243 | 2017

